12. Mai 2019
Das Viertel Montmatre im Herzen von Paris ist vor allem durch das „Moulin Rouge“ und die Sacré Coeur berühmt geworden. Doch zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, in der Belle Epoque, war dies auch das Viertel der intellektuellen Elite und ein Magnet für Künstler aus aller Welt. Und genau dort gab es auch das „Cabaret du Chat Noir“ (Das Kabarett Schwarzer Kater). Künstler wie Claude Debussy oder Erik Satie gingen dort ein und aus. Genau dieses Ambiente wollte die Intendantin der fünften Ausgabe des Festivals :alpenarte, die Flötistin Eva-Nina Kozmus, im dritten Konzert des Festivals heraufbeschwören. Sicherlich wäre ein Abendkonzert im Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg dafür besser geeignet gewesen, als ein helles Samstagnachmittag-Konzert. Aber es ging ja um das Musikalische, wobei man die Atmosphäre im Saal mit einer fächerartig zur Bühne gestalteten Sitzreihenanordnung aufgelockert hatte. Die Musiker agierten meist vor der Bühne, nur in den Werken mit Klavier gingen sie auf die Bühne. Dadurch wurde die Nähe zum Publikum verstärkt, wollte man die Atmosphäre auflockern. Zudem hatte man ein Sofa auf die Bühne gestellt, auf dem die Musiker, die gerade nicht spielten, wechselnd Platz nahmen. Die Szenerie war perfekt.
Da Ambiente im „Schwarzen Kater“ war selbstredend stark von französischen Komponisten beeinflusst. Und die Franzosen favorisieren bis heute das Schreiben für Holzblasinstrumente. Kein Wunder, dass Eva-Nina Kozmus sich an deren Werken für das Motto des Konzerts, „Le Chat Noir“, labte. Doch Paris war auch Schmelztiegel für Komponisten anderer Nationalitäten – und somit bietet die Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Fundgrube für ein solches Programm.
Eva-Nina Kozmus bewies in diesem Programm nun erstmals so richtig ihr weitgefächertes Können an ihrem Instrument. Stand sie in der vom künstlerischen Leiter des Festivals, dem Klarinettisten Sebastian Manz, bearbeiteten Version des Jazz-Standards „After you've gone“ für Querflöte, Klarinette und Streichtrio noch ein wenig im Hintergrund, so zeigte sie ihr Können in Jean Françaix’ „Andante tranquillo“ aus dem Quintett für Flöte, Harfe und Streichtrio bereits deutlich stärker. Sanfter Klang, feinabgestimmte Kammermusik mit ihren Mitstreitern ließ erkennen, welche Potenzial die zierliche Flötistin in sich birgt.
Auch der Brasilianer Heitor Villa-Lobos hielt sich lange in Paris auf und hat in seinem „Choros Nr. 2“ die Holzblasinstrumente Klarinette und Flöte in einem wunderbaren Diskurs verwirklicht, der zeitweise wie ein kleiner Streit zwischen zwei Partnern klingt. Dagegen stellte der 1979 geborene slowenische Komponist Vito Žuraj in seinem „Tango“ von 2000 – eine Hommage der Intendantin an ihr Geburtsland – wiederum die Flöte in den Vordergrund. Und hier nun war es die Virtuosität, die Kozmus zeigte: sie brillierte, wusste die unterschiedlichen Ausdruckswelten so zu formen, dass die moderne Tonsprache wie eine Selbstverständlichkeit klang.
Und dann vermochte Kozmus in André Jolivets „Chant de Linos“ (1944) mit ihren musikalischen Partnern in dieser vom Komponisten selbst angefertigten Kammermusikversion die mythischen Klänge von Linus, des Lehrers von Orpheus und Heracles, zum Leben zu erwecken: unterschiedlichste Blastechniken mussten die geforderten Ausdruckswelten entwickeln, brachiale Ausbrüche, extreme Agogik, verbunden mit archaisch wirkenden Tanzrhythmen à la Strawinsky versetzten dann auch die Zuhörer in eine Art faszinierten Schockzustand, denn dem inneren Druck dieser Musik kann man sich nicht entziehen.
Und selbstredend durfte das berühmte Flötenstück „Syrinx“ von Claude Debussy für Flöte solo nicht fehlen. Kozmus spielte diese Sirenenmusik aus dem Off, also ohne sich zu zeigen von hinter der Bühne und konnte somit den einschmeichelnden Klang ihres Spiels noch verstärken, da die Zuhörer sich vollauf auf diesen und nicht auf die optischen Reize konzentrierten. Abwechslungsreich ging es weiter: Mit Astor Piazzollas „Cafe 1930“ für Querflöte und Harfe, das daran erinnert, dass der Tango nicht nur ein Tanz, sondern vor allem auch ein Lamento-Gesang ist, der die Emotionen zum Ausdruck bringt. Hier nun kreierte Kozmus mit der Harfenistin Lisa-Maria Hilti einen so intimen Klang, dass die Zuhörer sich langsam wirklich in einer Kabarett-Atmosphäre wähnten.
Erik Satie, der alle Traditionen negierende Komponist im Umfeld von Debussy, wurde von Yannick Rafalimanana am Klavier mit seinen „Embryons desséchés“ ins Programm integriert, sarkastisch und die Musikwelt auf den Arm nehmend. Dagegen wirkte das Stück „Le Chat Noir“ des David Orlowsky Trios mit seiner seichten Weltmusik-Charakteristik zwar auflockernd in seiner Aussage, aber auch profan.
Doch dann kam wieder ein Stück des ins Festival integrierten irischen Komponisten Sam Perkin auf die Bühne: Er hatte ein Solostück für Eva-Nina Kozmus namens „Eva“ geschrieben, das eine Zwiesprache und gleichzeitige Verschmelzung von elektronisch zugespielten Klängen zur Flötenstimme verlangte. Keine leichte Aufgabe für die Flötistin, die aber gerade hier, in ihrem Stück, eine faszinierende Leistung erbrachte und dieses zweite Werk des Iren im Festival wiederum zu einem eindringlichen Erlebnis werden ließ.
Zum Abschluss dann ein Showdown besonderer Art: „Techno-Parade“ von Guillaume Connesson aus dem Jahr 2002, in dem der 49-jährige Komponist seinerzeit die Techno-Musik-Welle für die Kammermusikbesetzung Flöte, Klarinette und Klavier verarbeitete. Entsprechend wild, mit hämmernden Rhythmen bildete dieses Werk einen ebenso virtuosen wie lauten Abschluss, in dem Intendantin und künstlerischer Leiter nochmals ihr musikalisches Können aufblitzen lassen konnten. Das Publikum war aus dem Häuschen, applaudierte lange und vehement, auch als ein Dankeschön an die Musiker für dieses ungewöhnliche Programm und vor allem als Anerkennung an die unvergleichliche Leistung der Intendantin in Residence an diesem Abend.